"Verrückt?"

„Ich bin doch nicht verrückt“ – Psychische Probleme gelten oft als Schwäche – sogar für Betroffene selbst. Warum es wichtig ist, diese Denkmuster zu hinterfragen.

Hilfe holen – warum ist das immer noch so schwer?

Obwohl es heute immer selbstverständlicher wird, sich bei psychischen Belastungen Unterstützung zu holen, tun sich viele Menschen schwer damit, sich das selbst einzugestehen. Hilfe zu brauchen, ist für sie gleichbedeutend mit Schwäche. Dabei gehört es zum Leben, dass man manchmal Unterstützung braucht – mal mehr, mal weniger.

Das Gefühl, „nicht richtig“ zu sein

In meiner Praxis erlebe ich oft, dass Menschen mit psychischen Problemen das Gefühl haben, mit ihnen stimme grundsätzlich etwas nicht. Sie halten sich für verrückt, gestört oder irgendwie falsch. Sie glauben, sie seien schwach, empfindlich oder nicht belastbar genug.

Bei körperlichen Krankheiten ist das anders: Wenn jemand eine langwierige körperliche Erkrankung hat, begegnet ihm meist Mitgefühl. Niemand stellt infrage, ob diese Person in Ordnung ist. Bei seelischem Leid hingegen schämen sich viele – und haben das Gefühl, sie seien nicht mehr „brauchbar“ für die Gesellschaft.

Gesellschaftlicher Druck und Unverständnis

Ein großes Problem ist nach wie vor die gesellschaftliche Haltung gegenüber psychischer Gesundheit. Viele Betroffene erleben Unverständnis, oft sogar im engsten Umfeld. Aussagen wie „Stell dich nicht so an“, „Mach das doch einfach“ oder „Warum ist das so schwierig?“ verletzen – auch wenn sie vielleicht nicht böse gemeint sind.

Aber Menschen, die so etwas sagen, wissen oft nicht, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen. Sie kennen die Ängste, die Überforderung, das lähmende Gefühl von innen heraus nicht – und geben deshalb Ratschläge, die oft mehr schaden als helfen.

Wenn Ratschläge zum Schlag werden

Ein Ratschlag kann – im wahrsten Sinne – auch ein Schlag sein. Denn er kommt aus der eigenen Perspektive: „Ich würde das so machen“. Aber was für den einen hilfreich scheint, kann für den anderen das Gegenteil bewirken.

Deshalb ist es so wichtig, jemanden zu finden, der neutral bleibt. Jemanden, der nicht wertet, sondern begleitet – und das meist besser kann als jemand aus dem engen persönlichen Umfeld. Dafür braucht es professionelle, geschulte Unterstützung.

Psychotherapie – mehr als eine schnelle Lösung

Für den Erfolg einer Therapie ist es entscheidend, sich selbst anders sehen zu lernen. Nicht im Sinne von „Ich bin krank“, sondern eher: „Ich habe ein Problem – und ich kann daran arbeiten.“ Genauso, wie man auch bei körperlichen Beschwerden Hilfe sucht.

Natürlich ist Psychotherapie nicht immer so klar und greifbar wie eine Tablette gegen eine körperliche Krankheit. Aber auch körperliche Erkrankungen haben manchmal komplexe Ursachen, bei denen man länger suchen muss. Genauso verhält es sich bei psychischen Beschwerden.

Es gibt Fälle, in denen Medikamente eine sinnvolle Unterstützung sind – und ich bin kein Gegner davon. Aber meiner Meinung nach ist es genauso wichtig, nicht nur das Symptom zu behandeln, sondern auch an die Ursache zu gehen. In vielen Fällen reicht ein Medikament allein nicht aus. Deshalb empfehle ich, je nach Thema, immer auch frühzeitig ärztlichen Rat einzuholen.

Die andere Seite: Selbstdiagnosen aus dem Netz

Ein weiteres Extrem begegnet mir ebenfalls häufig: Menschen, die mit vorgefertigten Eigendiagnosen in die Praxis kommen. Oft stammen diese aus Social Media oder Online-Selbsttests. Aussagen wie „Ich bin sicher depressiv“ oder „Ich habe bestimmt eine Angststörung“ höre ich regelmäßig.

Ich verstehe das Bedürfnis nach Orientierung. Aber solche Labels können auch einschränkend wirken. Ich arbeite lieber ohne vorschnelle Diagnosen. Für mich steht im Mittelpunkt: Welches Problem hat der Mensch vor mir? Und wie kann er es mit Unterstützung bewältigen?

Fazit: Höre auf dich – nicht auf die Stimmen im Außen

Was machen wir, wenn wir eine körperliche Krankheit haben? Wir gehen zum Arzt.
Warum nicht auch, wenn unsere Seele schmerzt?

Höre auf, dich selbst zu verurteilen – und höre auch nicht auf andere, die gerade keine eigenen Schwierigkeiten haben und daher nicht verstehen können, wie es dir geht. Du musst dich nicht für dein Empfinden rechtfertigen. Nur du selbst kannst spüren, was für dich der richtige Weg ist.

Du bist nicht verrückt. Du hast ein Thema, das Aufmerksamkeit braucht.
Bei einer körperlichen Krankheit sorgst du für dich oder gehst, wenn nötig, zum Arzt.
Warum solltest du es mit seelischen Belastungen anders handhaben?

Höre auf dich und dein Bauchgefühl.
Nur du kannst wissen, was du brauchst.